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Choda Hafez… Roger


Yazd (im Südosten Irans, 1350 MüM, Klima: trocken-heiss), 30.9. – 3.10.14


Wüstenstadt Meybod (nahe Yazd)

Menschen:
Inzwischen bin ich in der Wüstenstadt Yazd (Yäs) angekommen, es ist kurz vor Mitternacht und es hat auf angenehme 25 Grad abgekühlt. Die letzten drei Tage habe ich in Shiraz verbracht. Dieses Land ist voller Schönheit: auf die Natur ebenso wie auf die Kultur und die Menschen bezogen. Die Menschen hier, Frauen wie Männer sind unglaublich nett, uneigennützig hilfsbereit und offen, ja geradezu begierig auf das „Fremde“. Ich weiss, das tönt überschwänglich, aber es ist so. Auch in Marokko, Palästina und in Vietnam bin ich auf solche Menschen gestossen, aber hier sind sie allesamt so wie beschrieben. Nirgends Ab- oder Zurückweisung, keine pekuniären Hintergedanken, ein offenes Lachen, das so gemeint ist wie es ausstrahlt. Man wird hier – von Männern wie Frauen – oft angesprochen: „Hello, how are you, where do you come from?“ Gespräche ergeben sich, unabhängig davon, wie gut Englisch gesprochen wird.

Die Begegnungen berühren auch – ein Beispiel: gestern habe ich im empfohlenen Hamam-e Khan Restaurant gegessen, wie der Name sagt, ein ehemaliges Hamam, von denen es heute leider kaum mehr welche gibt (öffentliche Bäder gibt es nur wenige und getrennt nach Geschlechtern). Ich war der einzige Gast in diesem schönen Raum, der mit seinen Verästelungen vielleicht 2-300 Leuten Platz bietet. Ein junger Perse begrüsst mich und bietet mir einen Platz an. Er ist gross und auffallend schlank, mit feinen Gesichtszügen und melancholischen Augen. Es ist – neben dem üblichen Fastfood-Kebab-Reis – das erste traditionelle Gericht, das ich in Iran bekomme und schmeckt ausgezeichnet. Wir kommen ins Gespräch. Er spricht sehr schlecht Englisch und seine Aussprache ist so verlangsamt wie sein Augenaufschlag, dass ich erst Drogen vermute. Der junge Kellner heisst Rucholla und ist 22. Wir haben Zeit und erklären uns solange, bis wir glauben, einander verstanden zu haben. Am Abend kämen wenig Leute, sie hätten kein Geld, um auswärts zu essen, oder sie nähmen nur Fastfood zu sich. Warum er so schlank sei, frage ich, ob er genug esse. Er möge kein Frühstück und am Mittag hätten sie alle Hände voll zu tun, erst um elf, wenn das Restaurant schliesse, esse er. Rucholla hat mit 18 die Schule verlassen und arbeitet seitdem als Kellner (er nennt sich „garçon“). Er arbeitet bei geringem Lohn sage und schreibe 365 Tage im Jahr. Eine Freundin habe er nicht, die dächten nur an eine sichere Existenz und wollten ständig in den Basar. Als ich zahlen will, winkt Rucholla ab, ich sei sein Gast. Mich haut es fast um und ich bestehe darauf, zu zahlen. Erst als ich ihn ermahne, ich könnte sein Vater sein, lächelt er ergeben und holt die Rechnung, es kostet 4 Franken für ein Menu mit zwei (alkoholfreien) Bier – ich gebe ihm ein kräftiges Trinkgeld dazu. Als ich sage, ich käme mit den vielen Nullen auf den Geldscheinen noch nicht zurecht, fragt er, wie denn bei uns das Geld aussehe. Ich zeige ihm Euro/Schweizer Franken-Scheine und Münzen und wir reden über den Wert der verschiedenen Gelder, es ging dabei nicht um das Geld an und für sich, sondern um die unterschiedliche kulturelle Bedeutung. Ich habe ihm das gezeigte Geld überlassen. Am Ende hat er mich auf das Dach des Hamams geführt mit seinen Windtürmen und Kuppeln, wir sind auf eine davon gestiegen und er hat mir die Monumente ringsherum erklärt. Das fahle rötliche Licht der Türme, Kuppeln und Dächer und der türkische Sichelmond – es war fast romantisch. Zum Abschied haben wir uns umarmt und er hat mich auf die Wangen geküsst, in der Art, dass ich fast glaubte, seine Abwehr gegen Frauen hätte noch andere Gründe.

Zwei Dinge gehen mir bei den Begegnungen mit den Menschen hier durch den Kopf: im arabischen Raum habe ich mehr Radikalismus und Machismo erlebt, in Marokko wurde ich in Restaurants und von den „faux guides“ kräftig abgezockt, hier wäre so etwas undenkbar. Hoffentlich macht der prosperierende Tourismus die Menschen hier nicht auch zu raffgierigen Monstern. Es gibt ja bereits ein grosses Arm-Reich-Gefälle hier im Iran, vor allem die politisch-religiöse Elite soll sich kräftig bereichern, entgegen ihrem sozialen Impetus.

Die Vorstellung, dass man hier unter diesen Menschen auch einen Krieg anzetteln könnte, ist unerträglich. Iran hat die zweitgrössten Öl- und Erdgasvorkommen und die Neokons in den USA hetzen schon seit Jahren gegen die „Achse des Bösen“, zu der Iran angeblich gehören soll. Das Regime hier liefert leider auch Argumente, doch die Iraner wünschen sich nichts mehr als Freiheit und Gerechtigkeit, das zeigen sie regelmässig, wenn sie eine Mehrheit von Reformern ins Parlament wählen, als Gegengewicht zu den selbsternannten staatlichen Institutionen religiöser Provenienz. Es wäre zu einfach, hier von einer Diktatur zu sprechen.

Schönheit

Ich habe hier bis jetzt selten jemanden gesehen, der oder die hässlich gewesen wäre, und wenn, dann waren es Frauen, deren Identität (oder eben Schönheit) man in traditionellen, schwarzen Gewändern mit Kopftuch bis über den Haaransatz einschnürt, manche tragen Joggingschuhe, was quer aussieht. Auch jüngere deutsche Touristinnen scheinen Freude an der Verschleierungssache zu haben. In Shiraz habe ich zwei ältere Touristinnen in solchen Kohlesäcken die Treppe zum Hotel hochgehen sehen, das Beinkleid bis zu den Knien hochgezogen, was natürlich – nicht nur der Krampfadern wegen – ein Eigentor ist – eine Iranerin in solcher Aufmachung würde das nie tun. Die meisten Iranerinnen sind zwar dezent, aber recht modisch gekleidet und geschminkt. Das Kopftuch wird demonstrativ weit hinter dem Haaransatz getragen – im Ganzen die erotische Variante der Verhüllung. Ich freue mich schon auf das Bild nach dem Abflug aus Teheran: kaum ist das Anschnallzeichen erloschen – so hat man mir berichtet – würden die Iranerinnen mit ihrem Schminktäschchen vor der Toilette Schlange stehen, um sich für die Welt zurechtzumachen.

Eben komme ich von einer Tour im alten Zentrum von Yazd zurück. Einige Stätten habe ich gefunden, andere trotz solider Laufarbeit nicht. Nach dem zweiten Taxifahrer, der die englische Karte mit den Ortsbezeichnungen der Sehenswürdigkeiten nicht lesen konnte, musste ich die Tour abbrechen. Ein dritter Taxifahrer, ein alter Mann, der nicht mehr gut sieht, hat mein Hotel nur deshalb gefunden, weil ich den Weg schon einigermassen kenne. Iran ist touristisch noch nicht so erschlossen, das ist gerade das Reizvolle: wenig Touristen, man muss schon mal in den Spiegel schauen, wenn man einen sehen will. Dafür gibt’s kein Gedränge.

Morgen dann mehr aus der Wüste…..


Mittwoch, 1. Oktober 2014 / 10h Hotel Zanbach – Yazd

Das Hotel wirkt protzig und überproportioniert, hier ist noch Raum für Räume, schade, dass er so kitschig und widersprüchlich genutzt wird. Einerseits die solarbetriebenen Kühlanlagen, die den ganzen Tag die warme Luft herunterwuchten, andererseits die Kühle, die durch die zahlreichen Ritzen dieses viel zu grossen Gebäudes entweicht. In den Zimmern die Lederstühle, teilweise noch verpackt, die Möbel (Normgrösse, alles Plastik, luxoriös anmutender Kitsch. Auf dem Dach gibt es Frühstück: unbeholfen, ich scheine der einzige Gast zu sein, sonst isst nur Personal, der Versuch, den Standard anderer Hotels nachzuahmen, vergeblich, eine CAGGIA-Kaffeemaschine liegt erschöpft am Boden, ungenutzt, leider. Man bekommt nur übersüssten Instant-Kaffee.




Shiraz 27.9. – 30.9.14 Shiraz

Hier ist viel Leben am Abend, der übliche aisatische Hochverkehr mit Hupen, Abgasen und fast kein Durchkommen für Fussgänger. Ich habe versucht, so stoisch wie möglich über die Strasse zu laufen und man wird tatsächlich fast angefahren. Es gibt aber genaue Regeln von Timing und Distance, die man schnell begreift (wenn man überleben will). Auch die Taxis und Mofas nutzen den ganzen Raum der Strasse, mit der Beobachtung begreift man langsam, wann man noch abbiegen kann oder wann nicht mehr. Der Verkehr ist ja ein wunderbarer Spiegel einer Zivilisation. Für Asien scheint mir das funktionierende Chaos typisch, das Auto ist Symbol für Fortschritt und Vorwärtskommen, zu viele Regeln würden den eh schon gigantischen Verkehr tatsächlich zum Erliegen bringen. Jetzt begreife ich auch, weshalb Asiaten in Zürich am Fussgängerstreifen vor dem stillstehenden Auto warten.


Konsum:

Von Marokko über Palästina bis Vietnam – überall das gleiche Bild: die Läden sind rammelvoll mit einem Überangebot an Waren, vorwiegend Kleider, Schuhe, Süssigkeiten, Waschmittel, Creme, Spielzeug, das meiste aus China. Man muss richtig suchen, bis man einheimische Ware findet.

Beobachtungen ungewöhnlicher Art:
esse mein Kebab draussen auf einem billigen Plastikstuhl, ein Pärchen setzt sich an den Tisch, sie sehr jung, übliche persische Gesichtsschönheit, er auch schön, schlank, dunkelbraun mit männlichen, aber weichen Gesichtszügen. Als er das Kebab bringt – sie hat mich schon längst gemustert – fordert er sie auf, anderswohin zu gehen, sie weigert sich aber bis er begreift, dass sie mich anschauen will (nicht weil ich so hübsch wäre, sondern, weil ich für die Menschen hier exotisch bin. Hier wird man von Jung und Alt betrachtet. Das Gespräch läuft stockend, beide sprechen wenig Englisch, bis sie sich einigen, dass er übersetzt, obwohl er fast schlechter versteht als sie. Ich habe den Eindruck, er übersetzt mindestens 3x soviel als ich antworte – aber so ist es, der Mann darf sich hier keine Blösse geben, man kann und weiss etwas nicht nicht.

Zwei Menschen gesehen, die in den Abfällen wühlen, ein schmutziger Junge hat mich angebettelt, freche Jungs verkaufen plastifizierte Koranverse, bis sie vom Kebabbesitzer weggejagt werden. Als sie sich wieder nähern wie hungrige Katzen, gebe ich ihnen meinen Teller, ich bin eh satt. Sie packen ihn – danklos-stolz – und zischen damit ab.

Im Hotelzimmer steht tatsächlich ein Aschenbecher auf dem Tisch und in der Nachttischschublade sind 3 Zigaretten, Kent und Pall Mall. Die wuchtende Klimaanlage habe ich abgestellt.

Die Sprache hier ist schön, nicht so hart wie das Arabische, eher geschwungen und weich. Unser Deutsch kommt teilweise daher: Tochter > dochtar / Bruder > baradar / Vater > pedar (sanskrit: „pindar“)…. Iran kommt von „arisch“, das Deutsche ist indo-germanisch (eben auch Arier die Inder und Iraner, nur wir Alemannen nicht, wir sind indigene Barbaren (gewesen).

Zum Thema Religion: auf dem Flug von Teheran nach Shiraz (alte Fokker) sitze ich neben einer jungen Reiseleiterin und frage sie nach dem „Mullah“ zwei Reihen vorne. Sie sagt mir, das seien keine echten (unsrigen?) Mullahs, sondern Araber, die jetzt vermehrt in ihr Land kämen, was sie und die Leute allgemein beunruhige.

Wen ich anspreche, die Iraner weisen Fanatismus zurück, sie haben Reformer gewählt, die Konservativen ertragen sie, vermutlich, da sie über wichtige Macht- und Kontrollapparate und grossen wirtschaftlichen Einfluss verfügen. Wie lange noch? Auch hört man hier nicht ständig den Muezzin vom Turm runterbrüllen (lediglich zweimal, um 12 und um 18h). Während man in Marokko oder Palästina ein Minarett nach dem anderen in den Himmel ragen und posaunen sieht, muss ich sie hier im Stadtbild suchen.



Bild: Bazar von Isfahan


Sonntag, 28. Sep. 2014 / 19h – Hotel Aryal Baran Shiraz

Beobachtungen:

- Heute sechs Stunden gelaufen, im Hafiz-Mausoleum, im Palast, Füsse tun weh,

- eine Frau macht mich auf einen Pissflecken aufmerksam, kurz bevor ich drauftrete.

- Man bietet mir nicht nur Hasch an, sondern auch Pornographie an, ausgerechnet im Park des grossen und milden Königs Karim Kahn. Ein in traditionellem Gewand gekleideter junger Bursche von vielleicht 20 Jahren hält mir im schönen Innenhof sein Handy vor die Nase mit irgendwelchen Pornobildern „do you want?“

- Die jungen Frauen, die lachend an mir vorbeigehen

- Noch keinen Hund gesehen, sind so selten wie Schweine (Nachtrag 1.10.14: als wir an einem wilden Bordercolly vorbeifahren, macht der Taxifahrer die Geste des Erschiessens).

- Im Sharze gegessen: junger Kellner weist einen älteren zurecht, der ist verletzt – der Junge scheint sein Vorgesetzter zu sein, sodass sich hier die traditionellen Verhältnisse umkehren.

- TV: mehrere Sender mit Propagandafilmen aus dem 1. Goldkrieg, alte Filme, Veteranen // Elitetruppen beim Training); CNN, France2, Euronews, ein US-Filmsender mit viel Gewalt und Horror (Untertitel in Farsi, Wörter wie „fuck“ werden stummgeschaltet).

- Iraner sind ausgezeichnete Ringer, jetzt sind gerade Asienmeisterschaften: Kasachstaner, Inder oder Türke gegen Iraner, haben was drauf die Jungs, ev. würden da unsere CH-Schwinger alt aussehen.



zwischen Yazd und Isfahan


Teheran, 27.9.14 - Geld:

Am Tag meiner Ankunft wechsle ich 500$ und 500€ in ca. 300 Millionen Rial um – in der Wechselstube kichern sie, als ich das Geld raushole, es ist peinlich, ich wechsle soviel wie vermutlich die in drei Monaten verdienen, wenn überhaupt und wenn sie überhaupt Arbeit haben. Der Wechsler korrigiert – offenbar unter dem Eindruck meiner pekuniären Verhältnisse – den Kurs nach unten – ist für mich aber o.k., die Jungs sollen auch was haben. Er hat gar nicht genug Rial da, er stellt mir einen Scheck aus, den ich in der Bank beim übernächsten Eingang einlösen soll. Zum Glück ist der Taxifahrer dabei, er überwacht den ganzen Prozess und schleust mich durch die Schranken. Bei der Bank werde ich bevorzugt behandelt, dass es mir peinlich ist, der Taxifahrer unterbricht eine Beraterin, die mit einer Kundin im Gespräch ist, man geleitet uns zum Chef im Hinterzimmer, der prüft den Scheck, ruft den Aussteller (der Geldwechsler), der kommt und muss ihn noch korrekt zeichnen, dann gehen wir zum Schalter, wo nochmals geprüft wird und schliesslich ausbezahlt wird. Erst nimmt der Angestellte ein Bündel 100‘000er-Scheine aus der Schublade. Ich erschricke: es sind rund 300 Scheine, in kleinen Paketen zusammmengehalten durch Gummibänder, ich komme mir vor wie ein Bankräuber und schlage die Hände über dem Kopf zusammen. Ich müsste ständig mit einem Rucksack voller Geld herumlaufen – man gibt mir schliesslich 30 saubere 1Mio-Rial-Scheine und den Rest klein. So wird’s gehen (und eben nicht, weil ich mit den vielen Nullen nicht umgehen kann: mal bezahle ich mit einem 50‘000-Schein, zuwenig, mal zücke ich einen Hunderttausender für ein Stück Kuchen).


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