Reisebericht Iran – 2. Teil (1.-16. Oktober 14)

Der 2. Reisebericht läuft – im Gegensatz zum 1. - vorwärts, also nach aufsteigendem Datum.


Fahrt in die Wüste

In Yazd, einer Stadt am Wüstenrand mit 432'000 Einwohnern, erwarten mich Anfangs Oktober 36 Grad (noch um Mitternacht 28 Grad). Ich gewöhne mich mit Körperübungen, Bewegung, Kopfschmerztabletten und Ausruhen langsam an das trocken-heisse Klima, dabei helfen bestimmt auch die Menschen hier, von denen man nicht genug schwärmen kann. Keine Feindlichkeit, kein Falsch, nur Durst nach Entwicklung und Leben.


Bild: Windtürme in der Wüstenstadt Yazd

Reise in die Wüste, am Kultort „Check-Check“ (was soviel wie „Tropf Tropf“ heisst), herrschen 40 Grad: Es gibt dort einen Zoroastrier-Schrein. Man muss etwa 150 Meter den Berg hochgehen und erreicht eine spirituelle Höhle, heiliges Quellwasser tropft von oben herab. Es brennt ein Feuer, dass seit mehreren Hundert Jahren nicht erloschen sein soll, im Ganzen seien die Zoroastrier, die auch Alkohol trinken, nicht so beliebt.
Die Wüste ist beeindruckend und hat etwas Beängstigendes, diese Leere und hoffnungslose Trockenheit – allein der Gedanke, bei der Hitze ohne Aussicht auf Nahrung und Wasser ausgeliefert zu sein, lässt einen erschaudern, dabei ist es in unseren Bergen gewiss genau so unwirtlich und gefahrenvoll. Allerdings, 500 Km weit in der Wüste, fernab einer Ortschaft, sollte kein Zwischenfall eintreten, sonst ist man (ohne Satellitentelefon, Rega und CocaCola) verloren. Durch die iranische Wüste läuft auch der Opiumschmuggel aus Afghanistan in die Metropolen Europas. Die Taliban sollen ihn organisieren, die nicht lange zögern und schiessen, wenn sie jemandem im Niemandsland begegnen. Seit Anfang Jahr sollen bereits über 300 iranische Soldaten bei der Grenzsicherung umgekommen sein.


Bild: Wüste-Yazd

Mein Fahrer hat zwei Buben (13 und 8) und fährt sonst Lieferwagen – allerdings verdient er zu wenig (400$) und so kutschiert er zusätzlich Leute in der Gegend herum (ich zahle für den ganzen Tag 50$, wovon er vermutlich nur einen Bruchteil bekommt, den Rest sackt der Vermittler ein). Er träumt davon, nach der Pensionierung mit seiner Frau die Welt zu bereisen (das ist es, was ich gerade mache).
Nach unserer Wüstentour holt er mich am Abend wieder ab und wir fahren durch die Stadt. Seine Frau sitzt hinten. Sie ist ziemlich eingehüllt, zurückhaltend, stellt aber Fragen: ob ich Christ sei – Nein – warum nicht? – wenn es so etwas wie Gott gebe, dann sei er in uns und in allem, was uns umgebe, wenn das stimme, dann sei das Göttliche zu gross, als dass man es fassen und bestimmen könne – was denn meine Religion sei? – das Leben – ob ich zum Leben bete? – nein, mein Gebet sei ständig, da ich ständig lebte. Ich ergänze noch, dass es so viele Bekenntnisse gebe, die sich für einzig gültig hielten und deshalb auch im Namen ihres Gottes abschlachteten, deshalb sei ich agnostisch. – sie: meine Einstellung gefalle ihr, ich wolle das Gute. Der Abend ist dann noch so lange, dass ich sicher bin, dass sie es nicht aus Höflichkeit gesagt hat. Immerhin bin ich beeindruckt, dass ich nicht zum Teufel und Verführer avanciere. Ich weiss nicht, ob ein Christ (oder ein zum Islam konvertierter Christ, die es jetzt zunehmend gibt) so tolerant wäre. Hier jedenfalls scheinen die Menschen es zu sein.

Abschied im Hotel Zanbach/Yazd: mit wie viel Sorgfalt und Verbindlichkeit man sich hier um mich kümmert, das übersteigt alle Erwartungen. Vier Leute gleichzeitig abends um zehn, die zusammen und mit mir beraten, wie ich noch ein Hotelzimmer in Isfahan (mein nächstes Reiseziel), ein funktionierendes Handy-Abo oder ein Busticket finden könnte. Ich wünsche ihnen sogar so viele Kunden, dass sie diesen Luxus für einen einzigen Gast nicht mehr aufbringen können.


Isfahan, 3. Oktober 14 / 21.15h (Parsian Hotel)

Mit dem VIP-Bus von Yazd nach Isfahan – man sollte unbedingt Ohrstöpsel mitnehmen. Nach einer Stunde Fahrt werde ich vom grauenhaft lauten TV aus dem Seichtschlaf gerissen. Dazu noch die schrecklich quietschigen Filme: erst Aktion-Trailer vom Übelsten, dann ein Unterhaltungsfilm mit iranischem Alltagsknatsch: ein Alter schreit etwa 15 Minuten wegen Hexenschuss, wird ins Krankenhaus gefahren und schreit dort weiter, das Ganze soll lustig sein, dann wieder Tragiksülze, das alles unglaublich schlecht gespielt: schlechtes Drehbuch, schlechte Schauspieler, schlechte Regie, wenigstens konsequent. Der Chauffeur will auf meine Intervention hin partout nicht runterfahren mit der Lautstärke.

Nach 5 Stunden Fahrt und 325 Km. erreichen wir endlich Isfahan.


Bild: Stadt Isfahan (ca. 2 Mio. Einwohner)


Das Parsian Hotel ist ein Loch. An der Reception schiebt eine Angestellte den feuchten Dreck mit einem nassen Zottelbesen von einer Ecke zur andern. Unüblich für den Iran, der sonst sehr sauber ist. Ungewaschene Leintücher, stinkendes Stehklo, das zugleich die Dusche bildet, siffig alles. Ein riesiger, leerer Kühlschrank auf wackligem Gestell begräbt mich fast, als ich ihn öffnen will. Sogar die Notdurft vergeht einem hier. Die Klimaanlage dröhnt, man kann sie nur von der Rezeption aus abstellen, der Kloventilator holt bei Betrieb irgendwie den Geruch aus dem Scheissloch. Ich stelle alle Geräte ab und öffne das Fenster - laute Rufe, hupender Verkehr. An der Rezeption stehen drei junge Iraker, sie können kein Wort Englisch und schon gar kein Farsi. Sie suchen irgend etwas, vermutlich Arbeit. Ab und zu trifft man auf Iraker, Syrer, Pakistani oder Afghanen. Teilweise Flüchtlinge, teilweise auch Schwerreiche.
Ich suche ein anderes Hotel für die nächsten Tage. Das erweist sich als schwierige, weil an diesem Wochenende irgend ein Märtyrer gefeiert wird. Die Menschen sind auch hier ausgesprochen nett und offen, nur eine Gruppe verbärtigter Araber (die man hier nicht mag) hat mich aus dem Auto heraus angemacht.

Im **** Hotel Piroozy, wo ich für eine Unterkunft nachfrage, trinke ich einen wunderbaren Espresso für knapp Fr. 4.-. Herr Ali Yazdani von der Rezeption erlaubt mir, morgen dort mit dem Päärchen aus Polen, das ich kennengelernt habe und das ebenfalls im Parsian-Loch wohnt, zu frühstücken. Zudem will er mir ein Zimmer zuhalten, sofern eines frei wird.

Zwei junge, hübsche Perserinnen wollen sich mit mir auf der Si-o-se-Pol-Brücke ablichten lassen – irgendwie muss ich eine Trophäe sein. Ab und zu verlangt man (und frau) von mir meine Emailadresse, man will in die Welt hinaus schreiben.



Bild: junge Perserinnen mit „Trophäe“

In einer Konditorei schenkt mir die Verkäuferin eine Art Cremeschnitte und freut sich, dass sie mir schmeckt. Auf dem Weg zurück ins Nullstern-Hotel spricht mich ein junger, gepflegter Mann in gutem Englisch an, er könnte 27 sein. Er bewundert mein Reisen . Gewiss nicht alle, aber viele hier sind gut ausgebildet, sie sehen in den Medien doch, wie die Welt aussieht, sie wollen raus in die Freiheit. (Vor dem Heimflug wird mich ein junger Iraner fragen, was er in der Schweiz als Asylgrund angeben müsse, um angenommen zu werden. Nach der Revolution war es für Iraner möglich, im Ausland Asyl und Niederlassungsbewilligung zu bekommen. Viele gingen damals nach Europa, Kanada, in die USA und auch in die Schweiz und viele sind da geblieben. Aber heute sind diktatorische Repression und existentielle Perspektivlosigkeit kein Grund für Asyl in der Schweiz.


Isfahan, 4. Oktober 2014 / 18.15h ****Hotel Piroozy

Ich bin vom 0*Hotel Persian ins 4****Hotel Piroozy umgezogen, Herr Yazdani hat es arrangiert. Es lohnt sich: Raum, Platz, eine Arbeitsfläche – eigentlich eine Loft. Mindestens der 10-fache Standard zum lediglich doppelten Preis. Ich habe Glück, überhaupt ein Hotel gefunden zu haben, Touristen werden an der Rezeption mit dem Hinweis „we are occupied for one month“ abgewiesen, wenn sie nach einem Zimmer fragen.
Ich komme mit der professionellen Chefin an der Rezeption ins Gespräch: sie hat eine Stewardess-Ausbildung. Nein, sie habe keine Kinder, sie sei nun 28 und das sei in Iran alt. Sie ist im Süden Irans, am persischen Golf, aufgewachsen und kennt die Araber gut – sie wolle bei den Emirates anheuern. Später erfahre ich, dass sie „Rahe“ (Rache gesprochen) heisst, das bedeute „frei“. Ihr Name sei Konzept, sage ich, sie lacht.

Heute die Moscheen und Paläste besucht. Überall dasselbe, ob im Vatikan oder hier: Herrscherkult. Auf dem riesigen Wandgemälde im Chehel-Sotun-Palast gewinnen die Iraner gegen die Inder im 17. Jh. Irgend ein grosser Fürst zu Pferd besiegt den indischen auf dem Elefanten. Im TV zeigen sie Sportwettkämpfe: der iranische Ringer besiegt den indischen (oder, aus der Sicht der Inder, umgekehrt). Auf dem riesigen Imam-Platz mit Moscheen und Basar werde ich von einem 18-jährigen Jungen namens Iman angesprochen, er ist taff und will mir Isfahan zeigen, gibt mir seine Handynummer. In zehn Jahren, wenn der Tourismus weiter so wächst, könnte er einer der unverschämten „guides faux“ sein (siehe Marokkobericht).


Bild: Imam-Platz, Isfahan (soll nach dem Tian’anmen der zweitgrösste öffentliche Platz sein)

Ein älterer Mann fährt mit seinem beladenen Mofa vorbei und schlägt mit einem kurzen Seil auf die Bepackung wie auf einen Esel ein. (oder wollte er nur den Teufel – mich – verjagen?)


Allahs unterlassene Hilfeleistung

Irans Fitness-Center sind vom Regime geduldeten Nischen. Die Jungs (Frauen trainieren zu separaten Zeiten) zeigen ihre Muskeln, geben sich betont westlich und trainieren in kurzen Hosen – fast ein Sakrileg. Jeder will mein Freund sein. Der Angestellte, der die Schlüssel herausgibt, drängt sich für den nächsten Tag auf. Er wolle mir ein Bike besorgen und mich begleiten…. Ich will es ihm ausreden, unmöglich, am nächsten Tag um 10 Uhr steht er an der Rezeption. Sein Nachname bedeute Auge (der alles sieht). Er spielt sich an der Rezeption gleich als mein Führer auf und führt mich 500 Meter die Strasse runter zum Fahrradverleih. Da muss ich meine ID sowie eine Kopie des Passes abgeben, fragt sich wofür bei diesen Quietscheseln, die hier vermietet werden. Dann habe ich ihn auf ein Glas Orangenjus eingeladen, er hat sich sowas wie ein Müesli genehmigt und mit vollem Mund gequasselt, als ginge es um sein Leben. Da er kleiner war als ich, schob er den Kopf beim Sprechen in den Nacken, sodass ich den Brei zwischen seinen Zähen sehen konnte und befürchtete, er würde mich damit vollmachen. Wir sind noch auf die arabische und persische Kultur zu sprechen gekommen, auf den Koran – er sei gläubiger Moslem und im Koran stehe alles ,was gut sei unter und für die Menschen. Wenn man dem Andern zum Beispiel helfe (er wollte eigentlich Knete von mir), dann helfe auch Allah (also mein Portemonnaie). Warum Allah den Syrern nicht helfe, die zu Tausenden krepierten, wollte ich wissen. Da sagt der bigotte Trottel doch tatsächlich, dass die zu wenig gläubig seien und irgendwie Abzocker, ja deshalb Allahs Strafe (oder unterlassene Hilfeleistung, was für die Syrer aufs gleiche hinausläuft). Jedenfalls sind das die Momente, wo es mir schwerfällt ruhig zu bleiben, wenn ich die zerfetzten Leichen der angeblich schwachgläubigen Kinder vor mir sehe. Ich habe ihn entschädigt und entlassen.

Wieder einmal der Beweis, dass man sich auf Reisen am besten alleine bewegt. Wenn man jemanden braucht (z.B. einen Fahrer), findet man ihn auch. Ich fahre mit dem Rad – und allein! - gegen Westen in Richtung botanischer Garten. Immer dem Fluss entlang, der keiner mehr ist und nur verdurstete Erde zeigt. Wenn man fragt, wo das viele Wasser unter der wunderschönen Si-o-se-Pol (33-Bogen-) Brücke geblieben ist, bekommt man entweder ein Achselzucken zur Antwort oder verschiedene Versionen: einmal ist es die Klimaerwärmung, welche die Regenperioden gespült hat, dann die Landwirtschaft oder der Tourismus. Am originellsten fand ich die Antwort eines alten Iraners: der Fluss sei schon noch da, einfach nur versickert und laufe jetzt unterirdisch.


Bild: Si-o-se-Pol (33-Bogen-Brücke), Isfahan



Bild: Isfahan: der Fluss, der keiner ist

Für einen Moment kommt leichter Sandsturm auf, gleich will man sich den Mund zuhalten und aufhören zu atmen, die Augen brennen, nicht vorzustellen, was hier bei einem fetten Sturm los ist. Der botanische Garten ist gar nichts Besonderes und kostet für Touristen drei Franken Eintritt, was o.k. ist und den Garten fremdsubventioniert. Der Türsteher am Eingang schickt mich nicht zum Tickethäuschen, sondern geht mit mir in sein Büro, unsichtbar für die andern, dann will er den Eintritt von mir. Erst als ich auf das Ticket bestehe, schickt er mich zurück zum Schalter. Ich radle wieder dem Fluss entlang, nun westwärts, und erreiche einen gossen Park, herbstliche Bäume. Die Menschen liegen auf Decken und Teppichen beim Picknick – ein alltägliches Bild in Iran. Ich fahre mitten durch, kreuz und quer, gelange in Aussenquartiere, staubige Wege, schäbige Häuser neben kitschig-protzigen Villen, alles im selben Viertel, es wirkt ausgestorben. Als ich irgend ein Monument suche, das mir die Frau an der Rezeption auf der persischen Stadtkarte angestrichen hat, frage ich einen Mann. Der schmeisst sich gleich aufs Motorrad und eskortiert mich ca. 2 Km bis zu einer Kreuzung , er beschreibt mir den Weg in Farsi, ich verstehe natürlich nichts und nur soviel, als dass geradeaus nicht falsch ist. Nach weiteren 2 Km geradeaus, frage ich einen Ladenbesitzer erneut nach dem Monument der schickt mich die zwei Kilometer wieder zurück. An der besagten Kreuzung steht ein Verkehrsschild mit brauner, arabischer Schrift, was für gewöhnlich Sehenswürdigkeit bedeutet, also biege ich rechts ab. Ich bin unterzuckert und kaufe mir ein Getränk. Der Verkäufer erklärt mir, der Punkt auf der Karte bezeichne diese Strasse, mehr nicht, und die Sehenswürdigkeit würde noch etwa 5 Km. stadtauswärts liegen. Das ist mir zu weit, es ist heiss, staubig, stickig. Also fahre 10 Kilometer zurück und lande direkt beim Fahrradverleih, wo ich für nicht mal 1$ meine ID samt Passkopie zurückerhalte. Danach ins Hotel, den Dreck runtergewaschen und ruhen.


Bild: Abbasi-Hotel (1), Isfahan


Abendessen im Innenpark des Abbasi. Es ist das älteste Hotel in Isfahan, im 17. Jh. von einem Sultan als Karawanserei gebaut und seit 1957 ein gepflegtes, filmreifes Grand Hotel, das einzige vermutlich im Iran, das die 5***** wirklich verdient: viel Orientalik und modernes Flair,– es strömen Touristen aus aller Welt, aber auch viele Iraner in den schönen und geräumigen Garten.


Bild: Abbasi-Hotel (2), Isfahan


Isfahan, 6. Oktober 2014 – Touri-Tour

Tageswerk: bis 9:30 geschlafen. Frühstück, Spaziergang, Zimmerwechsel (ich kann die letzte Nacht ebenfalls im Hortel Piroozy verbringen, welche Wohltat!), Fahrradleihe, armenische Kirchen besucht, Fitnesscenter, Essen, Tagesrapport. Im Einzelnen: Ich gehe zum selben Fahrradverleih wie gestern, doch ein anderer Typ bedient. Er verlangt den Pass für eines der rostigen Gestelle, ich zeige ihm die Passkopie und meine ID, das genügt ihm nicht, er will nicht, ich rede auf ihn ein, er versteht immer nur, dass ich ein Fahrrad will, was stimmt. Aber ich versuche, seinen bürokratischen Dickschädel mit eindringlichen Argumenten zu erweichen – ich bitte einen älteren Herrn, der die Szene auf einer Parkbank belustigt beobachtet und etwas Englisch kann, mir beizustehen. Er versucht, dem störrischen Esel zu erklären, dass ich gestern hier mit den selben Dokumenten ein Rad gemietet hätte – doch seine administrative Legasthenie könnte nur ein Mullah erweichen, der gerade nicht zur Hand ist. Schliesslich ziehe ich ab und bekomme 500 Meter weiter ein Rad von einem jungen Angestellten, als ich es später zurückbringe, will er nicht mal Geld von mir.
Die armenischen Kirchen sind natürlich alle sehr alt und schön, haben auch viel Innereien, die ich mir betrachte, ohne sie im Detail und unter Zuhilfenahme des Reiseführers zu entschlüsseln. Mir genügt der schöne Eindruck.


Bild: die armenische Vank-Kathedrale in Isfahan


Ich will noch zum armenischen Friedhof, dort soll ein gewisser Herr Stadler begraben liegen, ein Schweizer Uhrmacher, der hier im 19. Jahrhundert wie zahlreiche Christen (in Ermangelung eines katholischen oder evangelischen) auf dem armenischen Friedhof begraben liegt. Im schönen, aber verwinkelten Armenierviertel finde ich mich kaum zurecht, trotz fragen. Schliesslich erklärt mir eine junge Armenierin (sie könnte genausogut 14 wie 24 sein), dass der Friedhof ab 16 Uhr geschlossen sei. Da die armenische Küche die hiesige Gastronomie übertreffen soll (was nicht sonderlich schwierig ist), frage ich sie noch nach dem besten armenischen Restaurant, die hier legendär sein sollen. Sie nennt eines, versichert mir aber, dass ich es nicht finden würde und es auch keinen Namen habe. Am besten, schlägt sie vor, wir gingen zu ihr, da sei das Essen am besten – und fügt noch die Frage an, ob ich verheiratet sei. Naja, wenn das kein Angebot ist: „alter Sack heiratet junge Armenierin samt Küchenkunst“ – schade, dass sie die persischen Schönheiten, durch deren Anblick ich inzwischen verwöhnt bin, unterbietet.

Im Fitnesscenter stellt mich der Bedienstete (der mir gestern „behilflich“ war und den ich nur mit einer Summe Geld und der mehrmaligen Versicherung, ich bräuchte ihn nicht, losgeworden bin) den andern wie eine Trophäe vor. Er redet auf mich ein. Wenn ich Geschenke für die Verwandten zuhause…. begleiten in den Bazar, Preise so tiefer. Ich versuche ihm zu erklären, dass ich wenig einkaufe und wenn, dann erst am Ende der Ferien (wegen Traglast), dass meine Verwandtschaft in Ermangelung von Frau und Kindern und unter dem Eindruck der Zeit gering bemessen sei, lasse ich weg. Der Typ ist wirklich hartnäckig, ich glaube so etwas wie Angst in seinem Gesicht zu entdecken, Angst vor der Zurückweisung Ich lege meine Hand sachte auf seine Schulter und sage ihm, dass ich seiner Hilfe wirklich nicht bedürfe und gut alleine zurechtkäme. Er hebt noch einmal an, doch mein ernster Blick lässt ihn verstummen.


Iranische Aussichten

Öfters werde ich zur Klagemauer. Ein Angestellter des Hotels erzählt mir, dass hier 90% gegen das Regime seien, dass sich das Land nicht entwickle, dass viele weg wollten, aber wohin? Dass er eine Managerausbildung habe und hier putzen müsse, Mädchen für alles, 7 Tage die Woche, kläglicher Lohn. Er hat eine 12-jährige Tochter. Sie solle es mal besser haben und ins Ausland gehen.
Die Leute hier sitzen im Bewusstsein von Freiheit fest, mit der Sehnsucht nach dem Paradies, das es angeblich bei uns gibt. Ein Grossteil der Menschen lebt in den pulsierenden Städten, alleine Teheran hat offiziell 12, nach Schätzungen 15 Mio. Einwohner, auf dem Land scheint kein Auskommen mehr. Es ist beschämend, wie die Menschen hier darben, es lässt einen die eigenen Querelen wie Luxus erscheinen. Im Foyer des Hotels wartet ein junger Mann, er schaut verlegen, so als würde er sich seiner Anwesenheit an diesem Ort, der für die meisten Iraner unerschwinglicher ist, schämen.
Vor dem Hotel wollen sich zwei Iraker mit mir ablichten lassen. Sie kommen aus Bagdad, ja, manchmal Bomben, no problem, Bagdad very nice. Sie sind business men und haben kräftige, gesättigte Körper.


Bild: Drehrestaurant im 11. Stock des Aseman-Hotels / Isfahan


Im Drehrestaurant, 11. Stock des Aseman-Hotels. Das Restaurant im obersten Stock beginnt sich tatsächlich zu drehen, langsam, aber stetig wie ein waagerecht sinkender Mond. Meine Alltagswahrnehmung verwirrt mich. Schaue ich nach links, dann drehen wir uns nach links, schaue ich nach recht, drehen wir uns nach rechts – wie’s beliebt, doch der Irrtum löst sich, als ich erkenne, dass sich die Fensterhülle nicht mitdreht und ich einmal die Fenstersäule und ein andermal die Aussenbrüstung fixiert habe. Schöns Bild: es ist eben alles eine Frage der Perspektive, obwohl es nur eine richtige Richtung gibt: wir drehen uns nach links und das Panorama wandert nach rechts (so jetzt stimmt’s, soll mal einer das Gegenteil behaupten). Die Drehscheibe zeigt die Ausmasse dieser 2-Mio-Stadt, von der man hier sagt, sie sei die „schönste Tochter Persiens“ (Die Menschen von Shiraz behaupten mit dem gleichen Recht dasselbe). In einer halben Stunde wird der jetzt noch verborgene Teil der Stadt sichtbar sein. Übrigens läuft in jedem Hotel oder Restaurant kitschige Pianomusik alla Richard Kleistermann. Im Taxi spielt man mir englische Popmusik vor, man will zeigen, dass man up to date ist. Das sind so die Gesten internationaler Freundschaft, auf die man hier viel Wert legt und die für mich Gold wert sind.


Teheran, das hässlich-schöne Monster


Bild: Teheran-Stadt

Teheran rauscht, Teheran pulsiert und wuchtet, Teheran boomt. Diese Stadt ist gigantisch und in unvorstellbarem Masse gewachsen (1966 = 2,7 Mio. Einwohner, 1976 = 4,5 Mio., 2004 = 7,1 Mio., heute offiziell 12, inoffiziell 15 Mio. Einwohner bei einer Fläche von 720 Km2 und einer Ausdehnung von 50 Km. zum Vergleich: Paris 105 Km2 und 2,2 Mio. Einwohner // London 1500Km2, 8,3 Mio. // New York 1'200Km2 bei 8,5 Mio. // und schliesslich Zürich 88Km2 bei 0,4 Mio. Einwohnern. Die Stadt Zürich, die angeblich aus den Nähten platzt, bräuchte bei gleicher Bevölkerung wie Teheran eine Fläche von 3'300 Km2, also etwa 10% der nutzbaren Fläche der Schweiz und fast 5x mehr als Teheran). Patchworkartig wird Altes neben Neues, Hohes neben Niedriges gebaut, die Stadt wächst im Norden für die Wohlhabenderen den Berg hoch. Die Bodenpreise im Zentrum und im Norden Teherans von 1000 Dollar/m2 übersteigen inzwischen diejenigen westlicher Metropolen. In Zürich beträgt er durchschnittlich die Hälfte. Im Süden rollt sich die Stadt immer weiter für die Plebs aus, wie ein endloser Perserteppich nach dem stets gleichen Muster gewoben. Dabei werden ästhetische Elemente von Proportion und Komposition zugunsten pompös-kitschiger Monumentalistik missachtet.



Bild: Teheran-Hochbau

Rücksichtslos werden die Etagen hochgeprügelt, vorwiegend von Afghanen, zierliche Menschen, die von sieben Uhr morgens an sieben Tage die Woche hart arbeiten, auf den Baustellen schlafen und essen und hoffen, dass sie einen Teil ihres kleinen Einkommens von rund 150-200 $ nach Hause schicken können, um dort eine Grossfamilie am Leben zu erhalten. Beim dem nicht enden wollenden Anflug erkennt man im Lichtermeer die Ausmasse dieser Stadt, die zwischen 1000 im Süden bis 1900 MüM im Norden liegt. Obwohl hier bezüglich Infrastruktur fast Unmögliches geleistet wird, platzt besonders der Verkehr aus allen Nähten und beschert Teheran Lärm und Smog. Kaum auszudenken, was hier bei stehender Luft von 40 Grad im Sommer auszuhalten ist. Zwar wurde in den letzten Jahren das U-Bahnnetz (mit Hilfe der Chinesen) stark ausgebaut, doch robben nach wie vor 70% der Menschen hauptsächlich mit dem Auto durch die Stadt. Es ist, als wäre der jede Logik von Transport missachtende Verkehr ein Spiegel der Verhältnisse. Strenge staatliche Kontrolle und lähmende Existenz einerseits, selbstregulierende Fortbewegung und ungebremster Vorwärtsdrang andererseits. Dabei bleiben die Fussgänger auf der Strecke: sie stören den individualistischen Exzess, die kollektive Manifestation von Selbstbehauptung und Fortschrittssehnsucht, verkörpert durch das Auto, und sei dieses noch so eine durch clevere Bastelei zusammengehaltene Schrottkiste. Nichts mag das dampfende und über Stadtautobahnen und durch Quartiere strömende, in allen Tonlagen achtlos hupende Ungeheuer aufzuhalten.


Teheran, 9. Oktober 2014 / 10 Uhr
10-17h: wir wollen zu Fuss in die Teheraner Berge. Mit dem übervollen Kleinbus – Frauen sitzen hinten, Männer vorne, geht’s vorbei an der riesigen Plakatwand mit dem Porträt Rohanis und dem Spruch „against violence and extremism“ und vorbei am berüchtigten Evin-Gefängnis, wo der Spruch gerade täglich einer gewaltigen Geduldsprobe unterzogen wird.



Bild: Rohani-Plakat („against violence“)

Auf dem Wanderweg befinden sich etwa alle 50 Höhenmeter Restaurants oder Cafes. Auf ca. 2000 MüM kehren wir um und essen am Eingang des Tals. Danach wollen wir in den Bazar, um einzukaufen. Ich muss Geld wechseln: Da es Donnerstagabend und der Freitag ein Feiertag ist, hat der 24h-Exchance-Shop zu und ich bin gezwungen zu improvisieren. Im Damenschuhladen wollen sie Dollars nur inklusive Schuhkauf wechseln. Da ich schon aus gesundheitlichen und noch mehr aus ästhetischen Gründen nicht auf Pumps stehe, gehe ich in den exklusiven Schuhladen für Herren, einen Eingang weiter. Der Verkäufer versteht mein Anliegen nicht, aber der gediegene Kunde, ein älterer Herr, der gerade eine Armada von Schuhen anprobiert hat, anerbietet sich, mir 150$ zu wechseln. Er könne zwar keine Dollars gebrauchen, aber er wolle mir die Gefälligkeit erweisen. Wie denn der Kurs sei? Auf ein solches Vertrauen und eine solche Hilfsbereitschaft trifft man in Europa längst nicht mehr.


Weingott gegen Allah – 0:1

Und dann will ich es wissen. Wir hatten uns eine Pasta zubereitet und wollten den erfolgreichen Ausflug ins Gebirge mit einem Glas Wein befeuern. Ich ging also in den nahen Shop, der für die high Society hier im exklusiven Norden Delikatessen feilbietet. Nach dem Einkauf frage ich ganz naiv, ob sie mir eine Flasche Wein verkaufen könnten. Ein Angestellter verweist mich an einen Shop, der ein paar Strassen weiter sich befinde, ich solle dort fragen und mich auf ihn beziehen. Mit der Skizze im Sack drauf mache ich mich auf den Weg, den besagten Shop zu finden. Bei einem Tabakshop sprechen mich zwei junge Männer an, die sich als sehr hilfsbereit erweisen. Was ich denn dort kaufen wolle. Ich sei Schweizer und man hätte mir gesagt, ich fände dort Schweizer Schokolade (ich bin vorsichtig). Wir kommen ins Gespräch und ich gestehe schliesslich, dass ich es auf eine Flasche Wein abgesehen habe. Sie bieten mir an, mich hinzufahren. Wir steigen in einen teuren Offroader, Typ Nissan. Der Fahrer spricht gut Englisch, er sei lange in Holland gewesen, habe hier im aufstrebenden Quartier nach dem Ingenieurstudium eine Firma für Sicherheitsanlagen gegründet. Er ruft seine Freundin an (die iranische, denn er hat auch eine in Holland). Schliesslich finden wir den Laden und fragen uns vorsichtig durch. Sowieso habe uns geschickt, der Touri hier hätte gerne eine Flasche Wein. Der Gemüseverantwortliche ruft den Chef, der erklärt uns, dass die Polizei kürzlich seinen Ameisenhandel lahmgelegt habe. Er entfernt sich, um zu telefonieren, Als er zurückkommt, sagt er, so auf die Schnelle sei hier keine Flasche aufzutreiben, wir müssten mit dem Auto da und da hin, der Kontaktmann könne in etwa einer Stunde das Gewünschte übergeben. Er überlässt dem holländischen Iraner die Telefonnummer. Schliesslich blase ich die Aktion ab, denn wir hätten tief in die Stadt fahren müssen, was schnell auf 20 Kilometer kommt und bei dem Verkehr wäre man längst verdurstet, bevor man sein Glas Wein bekommen hätte. Der Iran-Holländer bietet an, für den nächsten Tag seinen Kontakt zu bemühen. Sie bekämen hier alles in Hauf: „wyne, bier, drugs and women“. Nachtrag: ich hätte bei den Armeniern, den Zoroastriern oder iranischen Kurden nachfragen können, die trinken, was offenbar geduldet wird. Man versichert mir jedoch, dass der Wein ungeniessbar sei und eine illegale Flasche gewöhnlichen italienischen Weins koste ca. 200$.
Natürlich bin ich in den drei Wochen meiner Reise auf dem Trockenen geblieben, und das ist auch gut so. Sogar das alkoholfreie Bier, das hier gerne genossen wird, habe ich bleiben lassen, es schmeckt wie Medizin gegen Bierheimweh.



Bild: „Teheran bei Nacht“


Teheran, 10. Okt. 2014

Heute den Saadabad-Sommerpalast des Pahlavi-Clans im wunderschönen Park im Norden Teherans auf 1750 MüM besucht. Wuchtige, Bauten, Gemächer, Empfangsräume, Besprechungsräume, Kinderzimmer. Zwei Kinder des letzten Schahs, Mohammed Reza, haben sich umgebracht, die genetische Mutter – eine erste, die Soraya, kriegte ja keine Kinder – soll noch standesgerecht in Paris leben. Solche Paläste zeigen nur einen kleinen Ausschnitt aus der Wirklichkeit und blenden das allgemeine Leben der Menschen völlig aus. Warum die Leute geradezu versessen auf solche Prunkbesichtigungen sind, ist mir ein Rätsel. Aber die Iraner strömen gleichermassen fasziniert durch die Räume wie die Touristen. Es gibt besonders unter den Älteren nicht wenige, welche sich den Schah zurückwünschen, besonders Reza Khan Pahlavi (1878-1944), der einfachen ländlichen Verhältnissen entstammte und über eine Offizierslaufbahn 1926 schliesslich als Schah die Macht übernahm. Er hat tatsächlich entscheidende Reformen durchgeführt, welche die Modernisierung des Irans einleiteten, und wird mit Ata Türk verglichen.

Am Abend sind wir in einer Galerie eingeladen, eine Teheraner Künstlerin stellt ihre Bilder aus. Es kommen vielleicht dreissig Leute, zwei junge Iranerinnen fallen auf, die sich beim Betreten der Galerie gleich das Tuch vom Kopf auf die Schultern schieben. Danach essen wir im „Cafe Gallery“, einem Vegi-Restaurant im Haus der Künstler in der Nähe des Iranshar-Tehaters. Es schmeckt ausgezeichnet und die Angestellten sind allesamt Studenten, die hier kostenlos arbeiten und dessen ungeachtet zuvorkommend bedienen.


Teheran, 11. Oktober 2014

Heute: Teheraner Berge in Richtung Kaspisches Meer mit Fahrer: Teheran > Damavand > Firuzkuh > bis Veresk und wieder zurück nach Teheran. Wir besichtigen einen Bahnviadukt, der von einem dort begrabenen und hier verehrten Deutschen Ingenieur gebaut wurde. Zwei alte Männer erklären uns dazu: der Ingenieur habe sich bei der ersten Zugsüberquerung unter den Viadukt in der Schlucht stellen und zudem eine Garantie von 80 Jahren leisten müsssen, die kürzlich abgelaufen sei, deshalb unterhalte man die Brücke jetzt selber.



Bild: Viadukt (Zugstrecke über das Gebirge von Teheran nach Mashhad)

In der Nähe von Firuzkuh laufen wir in eine Schlucht, ein beliebtes Ausflugsziel. Die Saison ist vorbei und wir sind die einzigen. Wenn man die Kälte aushält, kann man bis zu einem Wasserfall hochwaten. Nach 50 Metern brechen wir das Vorhaben ab, das Wasser ist eisig. Die schöne Schlucht heisst Klamm Tang e Washi. Das klare Wasser würde baden erlauben wie sonst selten im Iran, doch alles ist übervoll mit Müll, den die Leute herumliegen lassen. Zwar würden – nach Auskunft des Betreibers des Verpflegungsshops (dessen Vater ein begeisterter Bergsteiger, u.a. des Damavand sei) – die Dorfbewohner und Studenten regelmässig Müll einsammeln, auch mache man überall in moderatem Ton auf die Sorgfaltspflicht aufmerksam, aber es nütze alles nichts. Es scheint, als wäre diese Rücksichtslosigkeit das Ventil eines der Repression unterworfenen Volkes.



Bild: „Klamm-Schlucht“ (in den Bergen Teherans, Richtung kaspisches Meer)

Wir fahren zurück und erreichen über die Stadt Damavand den 2600 Meter hohen Hashem Pass. Von dort sehen wir den 5678 Meter hohen „Kuh (Berg) Damavand“, die höchste Erhebung Irans. Ein imposanter Koloss, bereits weit nach unten beschneit. Dann zurück über Ab Ali, Rudehen bis zum Stadtrand Teherans, wo wir durch den Stau mindestens nochmal soviel Zeit brauchen, bis wir in Nordteheran ankommen.



Bild: „DAMAVAND“

Wir fahren durch karge Berglandschaften. Dort, wo man Wasser hinführt, wachsen Apfelplantagen, das erste Mal sehe ich Schafe, Kühe und Menschen, die das Land bewirtschaften (Kartoffelanbau). Gegen die Pässe nach Norden, zum Kaspischen Meer hin, verdichten sich die Wolken, es regnet sogar und wird grüner. Am Kaspischen Meer soll es subtropisch grün sein.
Mit X und Y über die sozialen Unterschiede gesprochen: nach der Revolution sind viele Wohlhabende ins Ausland geflohen (auch weil sie bedroht waren). Gleichzeitig haben sich Leute, die an der Revolution beteiligt waren, enorm bereichert (z.B. der ehemalige Präsident Rafsanjani). Sie verfügten – ähnlich wie in Russland nach 1991 – über die nötigen Verbindungen, um Geschäfte zu machen, oder erhielten die enteigneten Villen und Paläste der Geflohenen oder Eingekerkerten.


Teheran, 13. Oktober 14– „Verkehr zum Zweiten“

In Teheran sind Millionen von Fahrzeugen gemeldet, die täglich die Stadt und deren Autobahnen zumöbeln. Dazu kommen über 3 Millionen Pendler, aber selten steht der Verkehr wirklich still. Gekämpft wird um jeden Zentimeter Raum. Es gibt drei Spuren bzw. vier mit dem Pannenstreifen, wechseln ist fast unmöglich und geschieht ebenfalls zentimeterweise. So fährt man mit dem Taxi bspw. auf der mittleren Spur, links und rechts einer der protzigen Offroader, die sich bedrohlich nähern, bis die Rückspiegel flirten, vorne, hinten, rechts und links ein ständiges Geschiebe. Zwischen den wogenden Abständen zischen Mopeds hindurch. Hier wäre man mit einem Mietwagen hoffnungslos verloren, das leiseste Zögern angesichts der Frage, welche Ausfahrt man nehmen muss, und man manövrierte sich unter einem Hupkonzert ins mobile Out, eingekeilt in ein erbostes Meer mobbender Blechkisten. Die Taxifahrer verfügen weder über Navigationsgerät noch über Stadtpläne, sie scheinen jede Strasse zu kennen oder fragen sich bei Bedarf durch. Gestern fuhren wir in die Italy-Street. Der Fahrer war 47 Jahre alt und bei guter Konstitution. Er gehe jeden Morgen 90 Minuten joggen, dann arbeite er den ganzen Tag. Er wollte für die kurze Fahrt in der Innenstadt 20‘000 Tuman, was mich im Vergleich zu Fahrten in den entfernteren Norden (10’-15’00 Tuman) überrissen dünkte. Wir einigten uns auf 15‘000. Er nahm es mit der Bemerkung, das sei doch wenig für uns, hin. Nach dem Gespräch auf der Fahrt über das Leben in Teheran, über seine Familie etc. gaben wir ihm schliesslich doch 20‘000 (sFr. 7.--).


Ramsar - Kaspisches Meer, 15. Oktober 14

Wir sind für zwei Tage ans Kaspische Meer gefahren. Die Vegetation ändert erst ca. 50 Km. vor dem Meer, davor ist es trocken, dann plötzlich sehr grün, eine nicht volle mediterrane, aber doch südlich anmutende Vegetation.



Bild: „Kasp-Meer“

Am Strand finden sich wenig Leute, niemand (ausser uns) badet. Mitten durch den schönen Sandstrand bemerkt man Eisenkonstruktionen, über welche in der Saison Tücher gespannt werden, um die (beim Baden eh voll bekleideten) Frauen den Blicken der Männer (und umgekehrt) zu entziehen. Frauen und Männer im Iran sind selbst bei grosser Hitze vollständig bekleidet, ausser Unterarm und Gesicht wird nichts den Blicken freigegeben. Öfters fällt mir eine junge Iranerin mit einem Stabilisationspflaster auf der Nase auf. Die iranischen Schönheitschirurgen sind für ihr Handwerk über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Auf dem Rückflug nach Istanbul sieht man zwei Türkinnen mit solchen Pflastern. Eine Iranerin erklärt mir, dass das Gesicht der Iranerinnen das einzige Mittel sei, um auf sich aufmerksam zu machen – deshalb werde es so gepflegt.

Die Übernachtung in einem Appartement in Ramsar war eine Katastrophe, aber kostete für fünf Leute nur dreissig Dollar, fast soviel haben wir für 4 Tee und 1 Türkischkaffee im legendären, aber heruntergekommenen Ramsar Grand Hotel bezahlt.
Das Ramsar Hotel hat einen alten und einen neuen Teil. Der alte wurde noch von Reza Khan, dem Vater des letzten Pahlewi-Schahs, gebaut, der neue vom letzten, Mohammed Reza. Beide hatten gute Beziehungen zu Deutschland: der alte sympathisierte mit der Organisationspotenz Hitlers (übrigens nicht mit dessen Antisemitismus), der junge unterhielt gute Wirtschaftsbeziehungen mit der Bundesregierung der 60er-Jahre, die ihn auch mit Waffen ausstattete. Die 68er-Bewegung entzündete sich an den deutsch-iranischen Beziehungen. Vielleicht kennt jemand noch die Studentenparole von damals (die etwa so ging): „Hoppe, hoppe Springer, den Teufel in den Zwinger, dem Rudi in die Fresse – heil dir Sorayapresse.“ Fritz Teufel war der Anwalt der Studenten, Rudi Dutschke der bekannteste Studentenführer, Soraya hiess die erste Frau des Schahs und mit der Presse war der Springerverlag gemeint.



Bild: Ramsar-Hotel, Kaspisches Meer

Am nächsten Tag fahren wir den kürzeren Weg über das Gebirge zurück nach Teheran. Die Fahrten dauern allgemein sehr lange und sind nicht ungefährlich: verwegene Fahrer, die blind überholen, bergauf und bergab, dann, wenn man endlich die Stadtgrenze von Teheran erreicht, das übliche Verkehrschaos, raus und rein, die Verkehrsführung ist für Fremde nicht nachvollziehbar, man fährt kreuz und quer durch alle Himmelsrichtungen, um dann endlich und geheimnisvoll doch am Ziel anzukommen.

(ENDE)



© Roger Staub


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