Eine Reise in den Iran - Einleitung

Zürich, 19. Oktober 2014

Phantasie und Wirklichkeit

Zurück in Zürich. Am Hauptbahnhof schieben sich die Autos träge voran, Fussgänger gehen gemächlich über die Strasse, ohne überfahren zu werden. Die Autos scheinen demütig zu warten – es gilt „das Recht des Schwächeren“, kaum zu glauben. (s. unten Reisebericht – Teil 2 / „Teherans Blechmonster“)



"Götterdämmerung" (armenische Kirche Isfahan)"

Das unberechenbare Iran

Tage vor dem Abflug aus Teheran wurde es doch noch brenzlig. Nach zahlreichen Unregelmässigkeiten: jemand rief auf dem Prepaid-Handy an und verlangte nach meinem Namen, danach funktionierte es nicht mehr. Als der erste Teil meines Berichts auf meiner Homepage aufgeschaltet wurde, kamen Mails beliebig an und gingen nicht raus, die Bluewin-Seite war nicht mehr erreichbar, Mails von Bekannten kamen unter falschen Emailadressen an und der Bericht Teil 1 war von Iran aus auf meiner Homepage nicht abrufbar – in der Schweiz hingegen schon. Dann kam der Hammer in Form einer SMS auf meinem Handy, der die Gelassenheit überstrapazierte. Es lautete ungefähr so: „Hi, I’am Elizabeth, an american soldier – we meet us some time ago – I’m now in the desert an have a parcel for you – please take contact.....“ (dann folgte eine Emailadresse des US-Militärs / die SMS habe ich gelöscht). Den Rest erledigte Faktenkenntnis und Phantasie: ich erinnerte mich an einen NZZ-Artikel vom August, wo es um die Freiheit des Internets und die Pressefreiheit im Iran ging: zahlreiche Photographen und Journalisten (auch ausländische) sowie Blogger wurden verhaftet und verschwanden für einige Zeit, niemand wusste, wo sie waren. Einige wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt und erst nach ausländischen Protesten auf Kaution freigelassen, andere bleiben auf unbekannte Zeit im Gefängnis. War die SMS ein Versuch, mich unter einem Vorwand am Flughafen abzufangen – eine Art Cookie? Ein Student berichtete uns von der Hinrichtung eines Hochschulprofessors am 13. Oktober (ein schiitischer Feiertag). Er war acht Jahre in Haft gewesen, weil er die Meinung vertrat, der Koran müsse historisch verortet werden (Nachtrag: am 25.10 wurde eine junge Frau hingerichtet, weil sie einen Geheimdienstagenten – vermutlich in Notwehr – erstochen hatte). Die Angelegenheit bereitete mir zwei kurze Nächte. Ich begann zu rechnen: was, wenn der Verfolgungswahn der Revolutionswächter durchbrannte und sie behaupteten, ich würde im Dienste einer feindlichen Macht agieren? Doch wenn sie das Cookie (die SMS) selber gesetzt hatten, wussten sie ja, dass es sich bei mir um einen harmlosen Touristen handelte. Doch wenn sie ein propagandistisches Faustpfand im Kampf um die Lockerung des Embargos suchten? Mit dem Upload des Berichts auf meiner Homepage, auf dem sich auch Zeitungsartikel von mir befinden, hatte ich die Grenzen des rein Touristischen überschritten. Presseleute geniessen in totalitären Regimen besondere Beobachtung. Mir war zumute wie in einem klapprigen Flugzeug vor dem Start, wenn ich die Vorstellung eines Absturzes der minimalen statistischen Wahrscheinlichkeit gegenüberstellte. Doch was, wenn die Wahrscheinlichkeit sich an mir erfüllte? Ich beruhigte mich damit, dass ich dann immerhin den Bedingungen aussenpolitischen Kalküls unterläge. Vielleicht würde ich am Flughafen gefilzt und solange festgehalten, bis der Flug weg war, als Warnung für das nächste Mal. Oder ich wäre gezwungen, Tage oder einige Wochen im berüchtigten Evin-Gefängnis zu verbringen. Immerhin wäre die weitere Behandlung berechenbar, schliesslich handelt es sich nicht um die IS-Leute, sondern um eine nervöses Regime, welches von innen und aussen unter Druck steht. Aber was, wenn sie Iraner, welche ich auf meiner Reise zahlreich kennengelernt hatte, unter Verdacht stellten – mit ihnen würden sie nicht so zimperlich umgehen. Schliesslich sind die Bilder der an Kranen Aufgehängter keine Phantasie. Mit fast 400 Hinrichtungen jährlich steht Iran nach China an zweiter Stelle. Anwälte und Menschenrechtsaktivisten verschwinden spurlos. Ich entschloss mich, auf weitere Veröffentlichungen meiner Berichte während meiner Reise zu verzichten. Schliesslich liessen sie mich am Freitagnacht den Foreign-Checkpoint am Khomeini-Airport passieren. Ich war erleichtert. Aber die Lektion war lehrreich, für einige Zeit wusste ich nicht nur, sondern spürte, was es heisst, in einem totalitären System zu sein. Ich verstehe die frustrierten Iraner, die sich zahlreich und unaufgefordert über das Regime beklagen. Auch und vor allem sie wissen, dass täglich Leute verschwinden, dass sogenannte „kriminelle politische Elemente“ (in Wahrheit Menschenrechtsaktivisten und engagierte Anwälte) eliminiert werden oder für Jahre im Kerker verschwinden, für nichts und wieder nichts.



Märtyrerkult (Teheran)

Über Leben und Tod entscheidende Unterschiede

Auch bei uns stimmt nicht alles: auch hier gibt es Korruption, auch hier wird auf politischer Ebene mit harten Bandagen gekämpft, werden Intrigen gesponnen, propagandistisch Mehrheiten geschaffen, verschwinden Fakten hinter Interessen. Um das business as usual intakt zu halten, lässt sich das Establishment von einer neuen politischen Bewegung nicht so einfach die (geklauten) Pelze wegschnappen. Aber ich verschwinde nicht in irgend einem Kerkerloch, wenn ich meinen Mund aufmache, ich kann sagen und sogar veröffentlichen, was ich denke. Zivilcourage wird nicht verfolgt, manchmal sogar belohnt. Ich werde nicht verhaftet, wenn ich auf der Strasse mit einer Flasche Bier herumlaufe, keine Frau, die mit Trägershirt, Hotpants oder ohne Kopftuch herumläuft, wird von einem religiösen Fanatiker bedroht oder wandert ins Gefängnis.
Ich kann bei mir zuhause zum Essen und schlafen einladen, wen ich will, ohne dass irgend ein Blockwart Meldung erstattet. Im Iran ist es unter hoher Geldstrafe verboten, jemanden, der nicht zur Familie gehört, bei sich unterzubringen. Bei uns wird sogar interveniert, wenn irgend ein Bäumchen zugunsten eines Neubaus gefällt werden soll. In Iran wird rücksichtslos Block an Hochhaus gebaut, wer genügend schmiert, darf beinahe alles, Proteste sind zwecklos.


Iran – eine Diktatur besonderer Art

Ob in den Provinzhauptstädten oder in Teheran selber: man ist der lähmenden Diktatur überdrüssig, eine Mehrheit durch alle soziale Schichten hindurch verachtet die klerikale Indoktrination von Staat und Gesellschaft. Der Muezzin brüllt seinen Ruf vergebens in das Tosen der Stadt, während die Leute in den Parks auf Decken sitzen und ihr Spiel gleichgültig fortsetzten, die Pärchen auf der Wiese sich in gesitteter Pose Liebesworte zuflüstern. Während die Moschee an Teherans Tajrish-Platz spärlich gefüllt ist, stehen die Leute vor dem französischen Café gegenüber für einen Latte Macchiato Schlange. Als Fremder wird man von Menschen – Männern wie Frauen – angesprochen und nach dem Leben „da draussen“ befragt. Hier verspüren die Menschen unaufgefordert das Bedürfnis, denen von da draussen von der Last und dem Überdruss ihrer Regierung zu berichten. Mehrmals täglich geschieht solches. Ein junger, bescheiden wirkender Student der Philosophie, voller Hoffnung auf die Veränderung der Zustände, versichert, dass die meisten Studenten unter dem Eindruck der Verhältnisse zu Agnostikern oder Atheisten geworden seien und dass das vermaledeite Regime sich lediglich mit Furcht und Schrecken am Leben erhalte. Erst vor wenigen Tagen – am Fest „Eid al-Gadheer“ – sei ein Hochschullehrer nach acht Jahren Haft hingerichtet worden, einzig allein, weil er öffentlich vertreten habe, dass der Koran historisch verstanden werden müsse. Als ein Mullah vorbeiläuft, senkt der Student für einen Moment die Stimme, um dann gleich fortzufahren: Die Medien hätten von der Hinrichtung nicht berichtet, aber es geschehe inzwischen fast kein Unrecht, ohne dass es im Web nicht erwähnt würde. Über Unrecht und Willkür staatlicher Organe würde in den Social Media frei kommuniziert. Er nennt sein Regime faschistisch und setzt es mit den totalitären des 20. Jh. gleich.


Ein Paradoxum: ein vorwiegend junges, offenes, kultur- sowie fortschrittsbewusstes Volk wird von einer Horde barbarischer und fanatischer Besserwisser mit allen modernen Mitteln von Technik und Überwachung unter der Knute gehalten. Junge, hübsche und gebildete Frauen – oft in westlich-moderner Kleidung - tragen ein Kopftuch einzig aus der Angst, sonst von irgend einem Fanatiker mit dem Segen staatlicher Organe niedergestochen oder mit Säure übergossen zu werden, wie es offenbar immer wieder geschieht. Und sie tragen es ausnahmslos alle, wenngleich nachlässig bis aufreizend. Es ist die Logik des Mittelalters: Argumente gegen Gebote, Lebenswirklichkeit gegen staatliche Willkür, gelebte Alltagstoleranz gegen militante Intoleranz. Dabei käme man auf den ersten Blick nicht auf die Idee, dass hier eine Diktatur herrscht. Keine Panzer in den Boulevards, keine Gardisten mit umgehängter MP im Park, kaum sichtbare Polizeipräsenz. Und doch ist sie da, die Repression: in Form von Zensur, von Spitzeln, von ehernen Gesetzen und vor allem in Form von Angst in den Köpfen der Menschen. Bei der Lektüre westlicher Kommentatoren, die bemerken, dass die Iraner in ihrer Mehrheit ein offen-tolerantes Dasein wünschten, hatte ich lange geglaubt, es handle sich um Wunschdenken. Doch vor Ort kann man sich von der Richtigkeit dieser Aussage überzeugen. Die Situation lässt sich an Absurdität kaum überbieten: als wüsste die Regierung um die Macht der Mehrheit, lässt sie diese in gewissen Lebensbereichen gewähren, doch nur solange, als das Mass nicht den Punkt überschreitet, wo es eine Revolution beflügeln könnte.



Bild: die Katze mit den scharfen Krallen vertreibt den schlauen Fuchs


Schönheit Iran

Iran ist wunderschön, die Menschen sind wunderbar, freundlich, offen, geradezu begierig auf das Fremde und die Fremden. Sie erscheinen ihnen wie Sendboten einer fast unvorstellbaren, aber durch das globale Netz und die Exiliraner vertrauten Welt, und nähren an ihnen die Sehnsucht nach Freiheit. Alleine in Kalifornien leben 600'000 Exiliraner, gesamthaft sollen seit der Revolution von 1979 vier Millionen Iraner ihr Land verlassen haben. Und viele von ihnen reisen regelmässig in die Heimat oder kehren gar zurück. Iran ist nicht Nordkorea, das sich völlig abschotten lässt. Iran hat ein kulturelles Erbe, das in die Antike zurückreicht, die islamische an Reichtum und Schönheit überragt und auch unsere westliche beeinflusst hat.

Nicht nur meine persönlichen Eindrücke aus den zahlreichen Gesprächen, sondern auch Iraner selbst bestätigen, das gewiss über 90% sich eine Änderung der politischen Verhältnisse, besonders eine Trennung von Religion und Staat wünschten. Die Diskrepanz zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen Parlament und dem bornierten Klerus, der die entscheidenden Machtapparate wie Geheimdienst, Militär, Polizei, Gerichtbarkeit und Wächterrat beherrscht, könnte grösser kaum sein.


Bild: Persepolis


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